Closest Distance

Closest Distance

Group show curated by Anna Marckwald

Spatial structures shape our daily movements; individual and collective choreographies unfold within them. While the space surrounding us initially appears as an objective instance – a common frame of reference – it mirrors social orders, political systems and the individual divergences that go along with them. Both public and private spaces necessarily produce inclusion and exclusion: they are as much the result – as the origin of social structures. The urban landscapes that surround us bear witness to the past, reflect the present and – in their permanent transformation – foreshadow future realities. In them, organic and artificial forms merge. They are a perpetual archive of human and non-human actors, an archaeology of the present. Cities, houses, streets, rooms form distinct topographies of commemoration and imagination. Why do we then still feel increasingly alienated from them? Do we shape space or does space shape us? Closest Distance brings together four artistic positions that reflect on these questions from different perspectives and transfer them to the exhibition context itself.

Katharina Keller: siberian brutalism (detail), 2018, concrete and steel, variable dimensions, © etta.
Béla Feldberg: untitled (air conditioner), plaster, found objects, building board, cable channel, roof batten, 53 x 53 x 210 cm, © Johannes Bendzulla.
Installation view, pictured here: Emily Dietrich, Esra von Kornatzki, Béla Feldberg, © etta.
Béla Feldberg: untitled (detail), aceton print, foamboard, plaster, frame, 105 x 200 cm, © etta.
Esra von Kornatzki: Stallin' (detail), 2022, steel, popcorn, 195 x 211 x 3.5 cm, © etta.
Installation view, pictured here: Emily Dietrich, Esra von Kornatzki, © etta.
Emily Dietrich: untitled (detail), 2022, wallpaperroll, 54 x 11 x 11 cm (single) and 54 × 62 x 11 cm (double), © etta.
Installation view, pictured here: Emily Dietrich, Katharina Keller, Béla Feldberg, © Johannes Bendzulla.
Emily Dietrich: hotelschwan, 2022, pencil, print on paper, 21 × 29.7 cm and römerbesteigung, 2022, oil on aluminium, screw, 21 x 29.7 cm, © etta.
Installation view, © etta.
Béla Feldberg, Notes (detail), book, softcover, 80 pages, 21 × 29.7 cm, © etta.
Installation view, pictured here: Béla Feldberg untitled (air conditioner), © etta.

Räumliche Strukturen bestimmen unsere täglichen Bewegungen. Innerhalb ihrer entfalten sich individuelle und kollektive Choreografien. Erscheint der uns umgebende Raum dabei zunächst als objektive Instanz, als gemeinsamer Referenzrahmen, spiegeln sich in ihm doch gesellschaftliche Ordnungen, politische Systeme und damit einhergehende individuelle Differenzen. So manifestiert sich in der Architektur von Gebäuden unmittelbar der ökonomische Status ihrer Bewohner*innen. Ort, Größe und bauliche Charakteristika sind Distinktionsmerkmale und damit Ausdruck divergierender Lebensrealitäten. Gleichsam werden bestehende Ausschlüsse und Diskriminierungen durch räumliche Strukturen und ihnen inhärente, teils gewaltvolle Grenzziehungen konserviert und stetig reproduziert. Mauern und Zäune kreieren ein künstliches Innen und Außen, Schutz und Ausgrenzung, eine Gesellschaft, die sich zunehmend in „Singularitäten" entwirft, wie der Soziologe Andreas Reckwitz 2017 konstatierte (Reckwitz 2019). Immer schneller und höher wachsende Häuser entwerfen das Bild einer dystopischen, den Gesetzen des Kapitalismus ergebenen Stadt, die sich in ihrer Form immer mehr von den in ihr lebenden Menschen zu entfernen, sie zu „negieren“ scheint (Lefebvre 1971, 78). Urbane Räume sind so stets beides: Resultat und Ursprung sozialer Gefüge.

Die konstruierten Landschaften, die uns umgeben, zeugen von vergangenen, spiegeln gegenwärtige und lassen in ihrer permanenten Transformation zukünftige gesellschaftliche Realitäten erahnen. In ihnen verschmelzen organische und künstliche Formen, sie sind immerwährendes Archiv menschlicher und nichtmenschlicher Akteur*innen, Archäologie der Gegenwart. Städte, Häuser, Straßen, Zimmer bilden Topografien menschlicher Kommemoration und Imagination. Warum fühlen wir uns dennoch zunehmend entfremdet von ihnen? Gestalten wir den Raum oder der Raum uns? Wie unterscheidet sich unsere individuelle Wahrnehmung urbaner Räume, wo verschwimmt sie mit den eigenen Assoziationen, Erinnerungen und Sehnsüchten? Welche Räume waren für uns wichtig und sind nun verschwunden?

Die Ausstellung Closest Distance vereint vier künstlerische Positionen, die diese Fragestellungen aus unterschiedlichen Perspektiven reflektieren. Die beschriebenen räumlichen Grenzziehungen, die Entfremdung von zunehmend funktionalistischen, sterilen Stadtlandschaften, werden durch die künstlerischen Positionen reflektiert und auf den Ausstellungskontext selbst übertragen. Aber auch Bruchstellen, Zwischen- und Freiräume rücken in den Fokus: Inwieweit bietet gerade der Verfall, die Zerstörung das Potential der Transformation bestehender Strukturen und eines Neuanfangs? „Differences endure or arise on the margins of the homogenized realm, either in the form of resistance or in the form of externalities (…)“, schrieb Henri Lefebvre 1974 in La production de l’espace (Lefebvre 2016, 373). Stückweise lösen sich so die Grenzziehungen zwischen Innen und Außen, Realität und Fiktion, Erinnerung und Zukunftsvision, der Suche nach Zugehörigkeit und Neuorientierung auf.

Anna Marckwald

Lefebvre, Henri (1971): Der dialektische Materialismus. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

Lefebvre, Henri (2016): The Production of Space. London: Blackwell.

Reckwitz, Andreas (2019): Die Gesellschaft der Singularitäten. Berlin: Suhrkamp.

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