
Anabel Scheffold

Grenzen sind das Medium der Entgrenzung. Linien sind (in der Geometrie) flächenlose Bereiche auf Flächen und in Räumen, können aber auch einen zeitlichen Verlauf repräsentieren. Ein wesentliches Moment postmoderner Produktivität ist die Grenzüberschreitung: Ästhetische Konzepte zu vermengen, Epochen nebeneinander zu gebrauchen, Regelwerke zu ignorieren, Collagieren aus Allem und Jedem, soziale Skulpturen, die das Publikum gleich einbinden wie eine handvoll Lehm beim Modellieren, ein munteres Kunterbunt auf der Suche nach aufblitzenden Momenten von Referenzierbarem, Gebärendes, Sterbendes, Lebendes, Flora, Mensch, Tier, Ding, dies alles ist zugleich da. In dieser Fülle und in der explosionsartigen Entfaltung der modernen Zivilisation künden sich leider auch deren Gefahren: Künstlerinnen, die in einer Zeit groß geworden sind, in der die menschengemachte Klimaerwärmung ein offensichtliches Ausmaß erreicht hat, die auch erleben müssen, dass sich die Menschen weiterhin über Grenzverläufe und Glaubensfragen die Schädel einschlagen und selbst die komplexesten staatlichen Ordnungen Armut und Drangsal nicht zu verhindern wissen, unterscheiden sich von ihren Vorgängern aus dem vergangenen Jahrtausend sehr wohl in ihren zentralen Anliegen: Dort, wo das ästhetisierende Spiel aus den Elfenbeintürmen ermattet zu sein scheint - nämlich beim Kunstbetrieb - erweist sich dieser möglicherweise als Platzhalter für ein Experimentierfeld, das für jede Menge neuen Impetus hinsichtlich des Kunstbegriffes entdeckt werden will.
Anton Herzl